Sonntag, 26. Februar 2017

Sommer!


Wir sind im äußersten Süden von Neuseeland angekommen, am südlichen Ende von Stewart Island,  im Port Pegasus. Hier lebt außer Robben, Vögeln und Pinguinen niemand mehr. Die einzigen Menschen die freiwillig hierher kommen sind Fischer, die nach ihrem harten Tagesgeschäft in den ewigen Wogen des Südmeeres einen ruhigen Hafen für die Nacht suchen - und einige wenige Segler, die das Ende der Welt für einen Ort halten, der dem Paradies sehr nahe kommt; zumindest für ein paar Tage im Jahr. Denn wenn das Wetter mitspielt, dann ist Port Pegasus  sicherlich einer der schönsten Plätze der Welt. Wie unglaublich schön, das werdet ihr auf Michaelas Fotos und Filmen sehen, wenn wir erst mal wieder Internet haben.

Dazu muss man sagen, dass wir unglaubliches Glück haben. Pünktlich als wir es mit einiger Verspätung endlich hierher geschafft hatten, ist auch der Sommer angekommen. Die Einheimischen hatten die Hoffnung auf etwas Sonnenschein schon aufgeben, denn bisher war das Wetter von äußerst bescheiden bis mäßig übel. Die letzten vier Tage jedoch haben alles wieder gut gemacht.

Es ist nahezu windstill, die Sonne strahlt  von morgens bis abends aus wolkenlosen Himmel und wir genießen tagsüber deutlich mehr als 20 Grad Celsius - kurz gesagt, T-Shirt-Kaiser-Jahrhundert-Wetter! Wir haben das Beste daraus gemacht , waren jeden Tag in der vorübergehend freundlichen Wildnis unterwegs  und haben unvergessliche Momente mitnehmen  dürfen.

Aber das Glück kann nicht ewig währen, sonst wäre es ja keins! Für morgen ist eine kleine Front angesagt, Regen und etwas Wind. Wir sind gut aufgehoben, denn hier gibt es diverse  Ankerplätze, die auch für extremstes Wetter geeignet sind und wenn es wieder aufklart, dann müssen wir schweren Herzens weiter.  Der Rückweg in den Norden ist lang, der Sommer wird nicht ewig halten und wir wollen noch ein paar schöne Tage in Fjordland genießen.

Auf jeden Fall wollen wir verhindern, dass es uns so geht, wie einem Seglerkollegen, den wir vor ein paar Wochen eines sonnigen morgens nach einer stürmischen Nacht  vor Anker in Akaroa entdeckten, das Vorsegel völlig zerfetzt in Streifen vom Vorstag wehend. 

Wir entschlossen uns nach dem Frühstück mit dem Dinghy dort aufzuschlagen und unsere Hilfe anzubieten. Aber noch während wir unsere Brötchen kauten, versuchte der Mann, offenbar allein, die Reste des Segels zu bergen. Er scheiterte aber daran, dass sich die Fetzen in den Wanten verhängt hatten.

 Also nahmen wir unseren Kaffee mit ins Beiboot und wurden von dem Mann, der ungefähr in unserem Alter zu sein schien, mit offenen Armen empfangen und an  Deck gebeten. Überraschender Weise kamen dann noch zwei weitere, ältere Herren aus der Kabine, die sich bisher nicht haben blicken lassen. Es stellte sich heraus, dass einer der Alten der frischgebackene Eigner der Yacht ist. Er hatte die gut erhaltene Amel Santorin vor ein paar Monaten erworben, etwas aufgerüstet und befand sich nun auf "Jungfernfahrt".

Der andere Alte war ein Freund des Eigners. Er hatte bis zu dieser Fahrt noch nie zuvor einen Fuß auf ein Segelboot gesetzt und wird es wohl auch nie wieder tun. Er ist beim Gehen auf einen Stock angewiesen und schon bei leichtem Seegang stark gehandicapped - bei Sturm völlig hilflos. Außerdem war er die ganze Fahrt stark seekrank gewesen. Er wollte nun so schnell wie möglich von Bord, denn scheinbar hatte es außerdem etwas Streit an Bord gegeben. Zumindest beklagte er sich bei mir, dass sich die anderen über ihn lustig gemacht und als Ballast bezeichnet hatten.

Auch der Jüngere an Bord schien nicht so glücklich, denn er hatte auf der Höllenfahrt die gesamte Arbeit praktisch allein gemacht, war aber vorher nur auf kleinen Motorbooten und noch nie auf einem Segelboot unterwegs gewesen und konnte dem Eigner nichts recht machen.

Die Stimmung an Bord war also gereizt, die Situation verfahren und stark skurril. Hätten die drei nicht so komplett hilflos gewirkt, dann hätten wir wohl die Flucht ergriffen. Aber es war klar, dass sie ohne Hilfe noch mehr Unglück anrichten werden, also nahmen wir das Nötigste in die Hand.

Als ich Michaela in den Mast gezogen hatte,  wir die Reste der Genua geborgen und den Gehbehinderten zusammen mit seinem umfangreichen Gepäck mit unserem Dinghy an Land gebracht hatten , waren die beiden verbleibenden Havaristen etwas aufgetaut und  boten uns heißen Tee an. Letztlich waren wir dann noch drei weitere Stunden an Bord, in denen sie uns scheibchenweise, wie beim Schälen einer Zwiebel, die unglaublichen Begebenheiten  ihrer Segelreise servierten.

Sie waren bei gutem Wetter in Wellington losgefahren, mit dem Ziel direkt nach Stewart Island durchzufahren- in vollem Bewusstsein, dass schon für den zweiten Tag ein Sturm angesagt ist, der aus der Cookstraße bis hinunter nach Akaroa weht.  Der Eigner meinte, dass das Boot das schon abkann, besonders wenn der Wind von hinten weht. Er hatte recht! Das Boot konnte das gut ab, aber die Ausrüstung und die  Menschen an Bord waren etwas überfordert, zumal sich zu 45 Knoten Wind und entsprechender Welle aus Norden ein alter, zwei Meter hoher Schwell aus Südost und eine starke Tidenströmung gesellte, die gemeinsam zu schwerer See und vehementen Schiffsbewegungen führten.

Das erste Opfer an Bord war der frisch restaurierte  Windgenerator, den man bei dieser Windstärke hätte abschalten müssen. Zuerst verabschiedete sich die Fahne, die den Rotor nach vorne richtet. Kurz darauf der Rotor selbst, nachdem nun der Wind von der falschen Seite  drückte.

Als Nächstes nahm die Sprayhood Schaden, als das Boot aus dem Ruder lief, quer zu einer brechenden Welle geriet, die dann über die Seite einstieg. Ergebnis war ein langer Riss, da der Stoff dem Wasserdruck nicht gewachsen war.

Die unerfahrene Mannschaft war bei diesen Bedingungen mit dem Segeln überfordert und so beschlossen sie unter Motor den Schutz von Akaroa anzulaufen - aber motoren bei schwerer See und großer Lage ist selten zu empfehlen. Es dauerte nicht lang und der Motoralarm ertönte und sie mussten die Maschine abschalten.

Der Chance beraubt die lange Einfahrt nach Akaroa gegen den Wind mit dem Motor zu bewältigen , endgültig verunsichert und verängstigt, beschlossen sie nun unter Segel in eine schmale Bucht auf der Ostseite der Halbinsel anzulaufen - mitten in stockfinsterer Nacht.

Bei Dunkelheit in einer unbekannten Bucht zu ankern, das ist schon bei gutem Wetter ein Wagnis. Bei Sturmwetter unter Segel in eine enge Bucht mit vielen gefährlichen Untiefen anzulaufen, die nur leidlichen Schutz verspricht - das ist Wahnsinn. Die drei können von Glück sagen, dass sie "nur" mit dem Kiel gegen einen Felsen liefen und der Bucht anschließend wieder entfliehen konnten, bevor sie ernsthaften Schaden anrichten.

Im Lee der Halbinsel ließ dann der Wind deutlich nach. Sie schöpften wieder Hoffnung und segelten unter Genua weiter zur Einfahrt, die sie im Morgengrauen erreichten. Dort wollten sie  nun gegen den  Wind ankreuzen, rechneten aber nicht damit, dass sich dieser in dem schmalen Kanal wieder verstärken würde. Als er ihnen plötzlich wieder mit knappen 40 Knoten entgegen wehte und sie das Segel bei vollem Winddruck verkleinern wollten, war das zu viel für das elektrische Rollreff der Genua, welches nun den Geist aufgab.

Der Wind trieb sie nun wieder aufs offene Meer hinaus, wo sie aber keinesfalls hin wollten! Also setzten sie alles auf eine Karte und kippten kurzerhand 4 Liter Öl in dem Motor - in die bereits gefüllte Ölwanne hinein! Warum sie das machten, das konnten sie im Nachhinein nicht wirklich begründen. Sie wollten den Motor zwingen zu funktionieren und dachten, dass er vielleicht wegen zu wenig Öl Alarm geschlagen hatte. Im Zweifel hilft viel viel und mehr mehr...

Der Motor lief wider Erwarten und so motorten sie mit schlagender Genua gegen 40 Knoten Wind die sechs Meilen lange Einfahrt hinauf und schafften es tatsächlich bis an den Ankerplatz, was einem kleinen Wunder nahe kommt. Dass man die Genua auch gegen den Winddruck wohl hätte bergen können, indem man das Fall löst, das war ihnen wohl nicht bewusst. Es spricht jedenfalls für den Zustand des Riggs, dass sich das Segel aufgelöst hat, bevor der ganze Mast den heftigen Vibrationen zum Opfer fiel.

Als wir am frühen Nachmittag sein Boot verliessen war uns der Eigner jedenfalls sehr dankbar, dass wir ihm neben der ersten Hilfe auch das überflüssige Öl aus dem Motor absaugen, die Funktionsweise seines Radars und der Pactor Software erklären konnten und ihm etliche Tipps für die Zukunft auf seinem Segelboot mitgeben hatten, so dass er diese auch hoffentlich erleben wird!