Wir sind im äußersten Süden von Neuseeland angekommen, am
südlichen Ende von Stewart Island, im Port
Pegasus. Hier lebt außer Robben, Vögeln und Pinguinen niemand mehr. Die
einzigen Menschen die freiwillig hierher kommen sind Fischer, die nach ihrem
harten Tagesgeschäft in den ewigen Wogen des Südmeeres einen ruhigen Hafen für
die Nacht suchen - und einige wenige Segler, die das Ende der Welt für einen
Ort halten, der dem Paradies sehr nahe kommt; zumindest für ein paar Tage im
Jahr. Denn wenn das Wetter mitspielt, dann ist Port Pegasus sicherlich einer der schönsten Plätze der
Welt. Wie unglaublich schön, das werdet ihr auf Michaelas Fotos und Filmen
sehen, wenn wir erst mal wieder Internet haben.
Dazu muss man sagen, dass wir unglaubliches Glück haben. Pünktlich
als wir es mit einiger Verspätung endlich hierher geschafft hatten, ist auch
der Sommer angekommen. Die Einheimischen hatten die Hoffnung auf etwas Sonnenschein
schon aufgeben, denn bisher war das Wetter von äußerst bescheiden bis mäßig
übel. Die letzten vier Tage jedoch haben alles wieder gut gemacht.
Es ist nahezu windstill, die Sonne strahlt von morgens bis abends aus wolkenlosen Himmel
und wir genießen tagsüber deutlich mehr als 20 Grad Celsius - kurz gesagt,
T-Shirt-Kaiser-Jahrhundert-Wetter! Wir haben das Beste daraus gemacht , waren
jeden Tag in der vorübergehend freundlichen Wildnis unterwegs und haben unvergessliche Momente mitnehmen dürfen.
Aber das Glück kann nicht ewig währen, sonst wäre es ja
keins! Für morgen ist eine kleine Front angesagt, Regen und etwas Wind. Wir
sind gut aufgehoben, denn hier gibt es diverse
Ankerplätze, die auch für extremstes Wetter geeignet sind und wenn es
wieder aufklart, dann müssen wir schweren Herzens weiter. Der Rückweg in den Norden ist lang, der
Sommer wird nicht ewig halten und wir wollen noch ein paar schöne Tage in
Fjordland genießen.
Auf jeden Fall wollen wir verhindern, dass es uns so geht,
wie einem Seglerkollegen, den wir vor ein paar Wochen eines sonnigen morgens nach
einer stürmischen Nacht vor Anker in
Akaroa entdeckten, das Vorsegel völlig zerfetzt in Streifen vom Vorstag
wehend.
Wir entschlossen uns nach dem Frühstück mit dem Dinghy dort
aufzuschlagen und unsere Hilfe anzubieten. Aber noch während wir unsere Brötchen
kauten, versuchte der Mann, offenbar allein, die Reste des Segels zu bergen. Er
scheiterte aber daran, dass sich die Fetzen in den Wanten verhängt hatten.
Also nahmen wir
unseren Kaffee mit ins Beiboot und wurden von dem Mann, der ungefähr in unserem
Alter zu sein schien, mit offenen Armen empfangen und an Deck gebeten. Überraschender Weise kamen dann
noch zwei weitere, ältere Herren aus der Kabine, die sich bisher nicht haben
blicken lassen. Es stellte sich heraus, dass einer der Alten der
frischgebackene Eigner der Yacht ist. Er hatte die gut erhaltene Amel Santorin
vor ein paar Monaten erworben, etwas aufgerüstet und befand sich nun auf
"Jungfernfahrt".
Der andere Alte war ein Freund des Eigners. Er hatte bis zu
dieser Fahrt noch nie zuvor einen Fuß auf ein Segelboot gesetzt und wird es
wohl auch nie wieder tun. Er ist beim Gehen auf einen Stock angewiesen und schon
bei leichtem Seegang stark gehandicapped - bei Sturm völlig hilflos. Außerdem war
er die ganze Fahrt stark seekrank gewesen. Er wollte nun so schnell wie möglich
von Bord, denn scheinbar hatte es außerdem etwas Streit an Bord gegeben.
Zumindest beklagte er sich bei mir, dass sich die anderen über ihn lustig gemacht
und als Ballast bezeichnet hatten.
Auch der Jüngere an Bord schien nicht so glücklich, denn er
hatte auf der Höllenfahrt die gesamte Arbeit praktisch allein gemacht, war aber
vorher nur auf kleinen Motorbooten und noch nie auf einem Segelboot unterwegs gewesen
und konnte dem Eigner nichts recht machen.
Die Stimmung an Bord war also gereizt, die Situation
verfahren und stark skurril. Hätten die drei nicht so komplett hilflos gewirkt,
dann hätten wir wohl die Flucht ergriffen. Aber es war klar, dass sie ohne
Hilfe noch mehr Unglück anrichten werden, also nahmen wir das Nötigste in die
Hand.
Als ich Michaela in den Mast gezogen hatte, wir die Reste der Genua geborgen und den
Gehbehinderten zusammen mit seinem umfangreichen Gepäck mit unserem Dinghy an Land
gebracht hatten , waren die beiden verbleibenden Havaristen etwas aufgetaut und boten uns heißen Tee an. Letztlich waren wir
dann noch drei weitere Stunden an Bord, in denen sie uns scheibchenweise, wie beim
Schälen einer Zwiebel, die unglaublichen Begebenheiten ihrer Segelreise servierten.
Sie waren bei gutem Wetter in Wellington losgefahren, mit
dem Ziel direkt nach Stewart Island durchzufahren- in vollem Bewusstsein, dass schon
für den zweiten Tag ein Sturm angesagt ist, der aus der Cookstraße bis hinunter
nach Akaroa weht. Der Eigner meinte,
dass das Boot das schon abkann, besonders wenn der Wind von hinten weht. Er
hatte recht! Das Boot konnte das gut ab, aber die Ausrüstung und die Menschen an Bord waren etwas überfordert,
zumal sich zu 45 Knoten Wind und entsprechender Welle aus Norden ein alter,
zwei Meter hoher Schwell aus Südost und eine starke Tidenströmung gesellte, die
gemeinsam zu schwerer See und vehementen Schiffsbewegungen führten.
Das erste Opfer an Bord war der frisch restaurierte Windgenerator, den man bei dieser Windstärke
hätte abschalten müssen. Zuerst verabschiedete sich die Fahne, die den Rotor
nach vorne richtet. Kurz darauf der Rotor selbst, nachdem nun der Wind von der
falschen Seite drückte.
Als Nächstes nahm die Sprayhood Schaden, als das Boot aus
dem Ruder lief, quer zu einer brechenden Welle geriet, die dann über die Seite
einstieg. Ergebnis war ein langer Riss, da der Stoff dem Wasserdruck nicht
gewachsen war.
Die unerfahrene Mannschaft war bei diesen Bedingungen mit
dem Segeln überfordert und so beschlossen sie unter Motor den Schutz von Akaroa
anzulaufen - aber motoren bei schwerer See und großer Lage ist selten zu
empfehlen. Es dauerte nicht lang und der Motoralarm ertönte und sie mussten die
Maschine abschalten.
Der Chance beraubt die lange Einfahrt nach Akaroa gegen den
Wind mit dem Motor zu bewältigen , endgültig verunsichert und verängstigt,
beschlossen sie nun unter Segel in eine schmale Bucht auf der Ostseite der
Halbinsel anzulaufen - mitten in stockfinsterer Nacht.
Bei Dunkelheit in einer unbekannten Bucht zu ankern, das ist
schon bei gutem Wetter ein Wagnis. Bei Sturmwetter unter Segel in eine enge
Bucht mit vielen gefährlichen Untiefen anzulaufen, die nur leidlichen Schutz
verspricht - das ist Wahnsinn. Die drei können von Glück sagen, dass sie
"nur" mit dem Kiel gegen einen Felsen liefen und der Bucht
anschließend wieder entfliehen konnten, bevor sie ernsthaften Schaden
anrichten.
Im Lee der Halbinsel ließ dann der Wind deutlich nach. Sie schöpften
wieder Hoffnung und segelten unter Genua weiter zur Einfahrt, die sie im
Morgengrauen erreichten. Dort wollten sie
nun gegen den Wind ankreuzen,
rechneten aber nicht damit, dass sich dieser in dem schmalen Kanal wieder
verstärken würde. Als er ihnen plötzlich wieder mit knappen 40 Knoten entgegen
wehte und sie das Segel bei vollem Winddruck verkleinern wollten, war das zu viel
für das elektrische Rollreff der Genua, welches nun den Geist aufgab.
Der Wind trieb sie nun wieder aufs offene Meer hinaus, wo
sie aber keinesfalls hin wollten! Also setzten sie alles auf eine Karte und kippten
kurzerhand 4 Liter Öl in dem Motor - in die bereits gefüllte Ölwanne hinein!
Warum sie das machten, das konnten sie im Nachhinein nicht wirklich begründen.
Sie wollten den Motor zwingen zu funktionieren und dachten, dass er vielleicht
wegen zu wenig Öl Alarm geschlagen hatte. Im Zweifel hilft viel viel und mehr
mehr...
Der Motor lief wider Erwarten und so motorten sie mit
schlagender Genua gegen 40 Knoten Wind die sechs Meilen lange Einfahrt hinauf
und schafften es tatsächlich bis an den Ankerplatz, was einem kleinen Wunder
nahe kommt. Dass man die Genua auch gegen den Winddruck wohl hätte bergen
können, indem man das Fall löst, das war ihnen wohl nicht bewusst. Es spricht jedenfalls
für den Zustand des Riggs, dass sich das Segel aufgelöst hat, bevor der ganze
Mast den heftigen Vibrationen zum Opfer fiel.
Als wir am frühen Nachmittag sein Boot verliessen war uns der
Eigner jedenfalls sehr dankbar, dass wir ihm neben der ersten Hilfe auch das
überflüssige Öl aus dem Motor absaugen, die Funktionsweise seines Radars und
der Pactor Software erklären konnten und ihm etliche Tipps für die Zukunft auf
seinem Segelboot mitgeben hatten, so dass er diese auch hoffentlich erleben
wird!