Dienstag, 23. Oktober 2012

Riomania


Verdammt. Jetzt ist der letzte Blogbucheintrag von mir schon wieder über zwei Wochen her. Ich versuche ehrlich jede Woche was zu schreiben, aber ich komme echt nicht dazu. Jaja. Ich höre von hier, wie ihr zuhause auflacht. Ihr, die ihre 50 Stunden Woche abreiten müsst, mindestens eine Stunde pro Tag Ausgleichsport betreibt, am Wochenende Euren Hobbies nachgeht, damit ihr nicht einrostet und nebenbei noch um Eure 4 köpfige Familie kümmert. Und da beschwert sich der Typ, der auf den Weltmeeren rumdümpelt, dass er keine Zeit hat.

Ich weiß, es klingt komisch… aber es ist so. So ein Segelboot macht einfach viel Arbeit. Wenn man unterwegs ist ist eh nicht an bloggen zu denken, denn da kümmern wir uns in wechselnden Schichten um den Ausguck und die Segel. Wenn Gäste da sind, dann kümmern wir uns um die, wenn wir vor Anker oder im Hafen liegen. Und wenn keine Gäste da sind, dann kümmere ich mich um Alita, repariere die kleinen Verletzungen, tausche regelmäßig die Verschleißteile und verbessere hier und dort einige Kleinigkeiten, die mich schon länger stören. Und bevor ich mich umsehe, ist der Tag rum.

Klar ist das letztlich eine Frage der Prioritäten und sicher habt ihr Verständnis dafür, dass die Funktionstüchtigkeit von Alita den Vorrang vor den Reiseberichten hat. Denn wenn Alita kaputt geht, dann hört das mit den Reiseberichten gänzlich auf. Aber nun zum Thema:

Seit dem letzen Blogbeitrag in Caravelas haben wir gut Strecke gemacht und sind nun westlich von Rio de Janeiro in der Gegend um “Angra dos Reis“ angekommen. Hier gibt es eine große dichtbewucherte, grüne Inseln „Ilha Grande“ mit geschützten Buchten, weißen Stränden und schwarzen Felsen. Die Ankermöglichkeiten sind nahezu unerschöpflich, ganz anders als in den bisherigen Gebieten der brasilianischen Küste, wo man im Schnitt nur alle hundert Kilometer einen guten Unterschlupf finden konnte.

Die Insel steht unter Naturschutz und ist nur am Ufer dünn besiedelt – hauptsächlich mit Pousadas (Pensionen). Es gibt einen Wanderweg der einmal um die Insel herumführt und im inneren ist dichter Dschungel, also echter Dschungel- So echt, dass man regelmässig die Affen schreien hört und das klingt gruslig kann ich auch sagen!

Für uns gewöhnungsbedürftig ist die hohe Dichte an Segel- und Motorbooten. Seit wir die Kanaren verlassen haben, waren wir immer eines von wenigen, wenn nicht das einzige Segelboot weit und breit. Das hat sich nun schlagartig geändert. Gestern Nacht lagen wir zusammen mit fast 30 anderen Sportbooten in einer lauschigen Bucht. Weiter verwunderlich ist das nicht, denn Angra liegt genau zwischen Rio de Janeiro und Sao Paulo, den beiden größten Metropolen in Brasilien und ist sowas wie die Badewanne der Nation – ähnlich wie das Mittelmeer für die Europäer.

Zum Glück sind die Brasilianer ein bisschen merkwürdig, was ihre Urlaubsgewohnheiten angeht. Bis auf ein paar Individualisten, geht man nämlich nur im Hochsommer aufs Meer, also von Dezember bis zum Karneval. Für uns etwas schwer verständlich, denn die Temperaturen zu dieser Zeit sind auch nicht wesentlich anders. Gut, es regnet weniger und deswegen ist auch das Wasser an der Küste klarer, denn die Flüsse im Inland führen weniger Wasser und bringen weniger Schwebeteilchen. Aber uns soll es recht sein, dass der Ansturm erst kommt, wenn wir längst wieder weg sind. In der Saison, so wurde uns erzählt, liegen in dieser Bucht jede Nacht um die 200 Boote!

Gewöhnungsbedüftig sind auch die Wassertemperaturen, die seit den Abrolhos drastisch gesunken sind. Nach mehreren Monaten in tropischen Gewässern mit Wassertemperaturen um die 27 Grad bin ich etwas verweichlicht und empfinde das Wasser hier, das 18 bis 21 Grad hat, als kalt. Die niedrigere Wassertemperatur führt auch dazu, dass es nachts deutlich kühler ist. Ich musste doch tatsächlich bereits zweimal eine lange Hose hervorkramen und draußen auf dem Meer reicht das noch nicht einmal!
 
 
Zum Glück bin ich als bekennender Warmduscher in guter Gesellschaft, denn den Walen scheint es ähnlich zu gehen. Seit wir bei Cabo Frio die kälteren Gewässer erreicht haben, sind die Buckelwale verschwunden. Obwohl ich nun nicht mehr besorgt sein muss, dass wir Nachts mit einem kollidieren, vermisse ich diese eindrucksvollen Tiere doch, die uns täglich mindestens einen Highlight beschert haben - entweder mit akrobatischen Darbietungen, oder einfach dadurch, dass sie ganz in der Nähe plötzlich auftauchen und lautstark abblasen.

Ach ja - und dann war da noch Rio. Dort haben wir auch ein paar Tage verbracht. Leider ist die Marina dort sehr teuer und dafür bietet sie auch so gut wie nichts. Die Duschen sind unter aller Sau, Internet gibt es nur direkt am Büro, die Security ist bestenfalls als lückenhaft zu bezeichnen und die Startbahn des Stadtflughafens ist so nah, dass man Mühe hat sich zu unterhalten, wenn ein Flieger abhebt. Darüber hinaus gibt es in der Marina mehr Moskitos, als auf dem ganzen Rest der brasilianischen Küste zusammen.

Das Dümmste an der Marina aber ist, dass sie  direkt an einer Art Park liegt, durch die eine Autobahn führt. Wir wurden mehrfach gewarnt zu Fuß durch den Park zu gehen, weil dort die Gefahr sehr groß sei, überfallen zu werden. Fährt man aber Taxi – egal in welche Richtung – zahlt man für unglaubliche Umwege, da es auf der Autobahn kaum Wendemöglichkeiten gibt. So war zum Beispiel die Fahrt in die Wäscherei, einen Kilometer Luftlinie entfernt, gefühlt 10 Kilometer lang und schmerzhaft teuer. Nach drei solcher Wuchertouren – und der Beobachtung, dass im Park, sogar bei Dunkelheit noch viele Menschen zu Fuß gehen, wagten wir es auch. Das Geld das wir bei den drei erfolgreichen Durchquerungen zu Fuß einsparten, wurde uns dann aber bei der vierten Durchquerung von einem nervösen, jungen Mann mit einem Messer abgenommen.

Auch wenn der Überfall nicht wirklich bedrohlich war – der Typ war nervöser als wir und hatte ein Küchenmesser mit grünem Plastikgriff – so trug er nicht gerade dazu bei, den schlechten Eindruck von Rio vergessen zu machen, den die Marina hinterlassen hatte.

Natürlich besteht Rio nicht nur aus der schrecklichen Marina und unhöflichen Menschen mit Messern. Die Stadt selbst ist wirklich sehenswert und auch hier sind die allermeisten Menschen fröhlich, nett und hilfsbereit, wie eigentlich alle Brasilianer. Wir haben die langen Spaziergänge durch die verschiedensten Viertel der Stadt und den Ausflug zur Jesusstatue sehr genossen – aber nach drei Tagen hatten wir beide genug Großstadterlebnisse.
Jetzt genießen wir erst einmal ein paar Tage die Ruhe der Nebensaison in der Gegend von Angra und dann machen wir uns gemütlich auf den Weg die Küste weiter nach Süden. Wir haben gute fünf Wochen Zeit bis wir in Buenos Aires erwartet werden. Das ist nicht gerade Stress. Vielleicht komme ich sogar dazu öfter was zu posten, aber ich habe auch noch ein paar kleinere Reparaturen auf der Agenda.

Samstag, 6. Oktober 2012

Unter Walen

Während unsere letzte Etappe ganz im Zeichen der Entspannung stand und sogar die letzten Nachwehen der Atlantiküberquerung vergessen gemacht hat, so waren die vergangenen zehn Tage nun wieder etwas aufregender.

Mit unserem neuen Gast Frank wollten wir es zunächst sanft angehen. Erst einmal eine kurze Etappe von Salvador nach Morro de Sao Paulo segeln und dort ein mit Horsts Tornado die Bucht unsicher machen. Aber schon auf dem Weg dorthin verschlechterte sich der Wetterbericht zusehends. Es kündigte sich eine der berüchtigten Südfronten an und damit die Wetterlage die den Süden von Brasilien so richtig ungemütlich machen kann.

Deswegen wollte ich den Besuch in Morro kurz machen, aber meine Mitsegler hatten sich schon so auf das Katsegeln gefreut, gleichzeitig stuften die Gribfiles die Windvorhersage herab, und zu guter Letzt wusste ein ortsansässiger Segler, dass die Südfronten praktisch nie so weit nach Norden kommen… und wenn doch, dann nur abgeschwächt und leicht abgelenkt, mit maximal 25 Knoten Wind aus SW.

Alles also halb so wild. Wir segelten schön Torando und brachen am nächsten Tag sehr früh auf, damit wir noch knapp vor der „abgeschwächten“ Südfront in den Schutz von Camamu kommen, wo wir mit Erkundungstouren in dem ausgedehnten Flussläufen die Schlechtwetterlage abwettern wollten.

Leider kam es ein wenig anders. Als wir gerade zwei Drittel des Weges zurückgelegt hatten, kam die dunkle Wand und dahinter wehte es mit 35 Knoten Wind aus Süd, in Böen bis zu 44 Knoten. Während ich noch auf die Tipps von ortsansässigen Experten schimpfte, versuchten wir unseren Plan zu retten und gegen das Wetter an zu kreuzen. Aber nach fast einer Stunde hatten wir erst wenige Meter Höhe gewonnen und es wurde immer schwerer, da die Wellen sich weiter aufbauten. Wir drehten also letztlich dem ganzen Mist den Rücken zu und schossen vor dem Wind zurück nach Morro – und da saßen wir dann drei Tage fest.

Frank war zwar von seiner Starkwinderfahrung ganz begeistert, aber leider geriet mein Zeitplan heftig durcheinander weil die Südwinde insgesamt fünf Tage anhielten. Wir lernten also die Gegend um Morro viel besser kennen, als uns lieb war - mussten dafür den Besuch im Flusslauf von Camamu und der freundlichen Stadt Ilheus auf eine Stippvisite verkürzen.

Trotzdem sind die Tage voller Highlights. Gestern hat unsere Angel Überstunden gemacht und uns zwei kleinere spanische Makrelen und eine stattliche Goldmakrele von knapp zehn Kilo geschenkt. Außerdem sehen wir seit einigen Tagen täglich Buckelwale. Die ersten Begegnungen waren eher schüchtern. Ganz weit entfernt, fast am Horizont sahen wir zunächst nur den Blas, die typischen Wolken aus Wasserdampf, die der Wal beim Ausatmen nach oben schießt. Das fanden wir damals schon sehr aufregend.

Seitdem kommen uns die Wale, die sich um diese Jahreszeit hier treffen um Nachwuchs zu zeugen, immer näher. Mit jeder Begegnung zeigen sie uns mehr - und wie immer, wenn Männer um Damen buhlen, verhalten sie sich höchst erstaunlich. Vielleicht versteht ihr was ich meine, wenn ihr euch verstellt, dass ein ausgewachsener Wal von 15 Meter Länge sich fast vollständig in die Luft erhebt und auf dem Rückweg in sein Element mit einem mächtigen Klatscher seitwärts aufschlägt. Bisher konnten wir das nur aus der Ferne sehen… und ich bin nicht sicher, ob ich es wirklich aus der Nähe sehen will!

Heute Nacht, auf unserer Fahrt nach Caravelas habe ich unten im Schiffsrumpf die Wale singen hören. Ich bin natürlich sofort nach oben um Micha zu warnen, die gerade auf Wache war. Wir sind ja derzeit fast ständig auf der Hut vor diesen busgroßen Tieren mit eingebautem Vorfahrtsrecht, aber dass sie sich mit Gesang ankündigen war uns neu. Sollte das vielleicht so eine Art Hupen sein? Gespannt schauten wir in die Nacht. Da hörten wir auch schon den ersten Blas, kurz gefolgt von einem zweiten und dann sahen wir den mächtigen Rücken des Tieres in nur 50 Meter Entfernung im Mondlicht und schon waren sie wieder weg. Bei aller Faszination für diese wunderbaren Tiere – ein bisschen gruselig sind die aus der Nähe aber schon.

Morgen fahren wir zu den Abrolhos Inseln und damit praktisch ins Schlafzimmer der Buckelwale. Ich hoffe wir sind dort willkommen und bin sicher, dass in der Fotogalerie demnächst wieder tolle Tierbilder von Micha auftauchen werden. Ein paar schicke Walbilder hat sie ja schon geschossen, aber die Highlights erwarte ich in den nächsten Tagen. Wir sind auf jeden Fall schon ganz aufgeregt.